Martin Wagener: Deutschlands unsichere Grenze - Plädoyer für einen neuen Schutzwall
Professor Martin Wagener, Berliner Professor für Verwaltungswissenschaft, hat ein glasklar durchargumentiertes Buch geschrieben, in dem er den
Aufbau zeitgemäßer Grenzsysteme an der deutschen Grenze fordert.
Umstritten ist das Buch in der breiten Öffentlichkeit nicht aufgrund
fachlicher Mängel, sondern weil er schonungslos Fakten und sich
entwickelnde Problemlagen im Falle weiter un- oder halbherzig
gesicherter deutscher Grenzen benennt und sich damit in vollem
Bewusstsein in den Gegenwind einer dauerempörten moralistischen
veröffentlichen Meinung stellt. Allerdings hat er einige Stilmittel
verwandt, die ihn angreifbar gemacht haben und auf die noch
zurückgekommen wird. Eine erfolgte Überprüfung des Autors durch
den Bundesnachrichtendienst hat dieser schadlos überstanden.
Dabei liefert Wagener
einen reinrassigen Contra-Narrativ zu einfachen, aber populären
Paradigmen, die in jeder Form von Grenze einen moralischen
Rückschritt oder simple Formen neo-nationalistischen Verhaltens
ausmachen. In einer komplexen, globalen Welt, so die These des
Autors, haben klar administrierte Grenzen weniger die Funktion,
Migration zu stoppen, als gesellschaftlich problematische
Kollektiveffekte wie organisierte Kriminalität und, wie er bereits
antizipierte, die Folgen von Pandemien, die unkontrolliert verbreitet
werden können.
In einer akribischen
empirischen Arbeit stellt Wagener eine Übersicht über bestehende
Grenzanlagen weltweit. Er zeigt, dass diese in der Geschichte selten
Menschenmassen aufgehalten haben, aber die Voraussetzung für die
Herstellung geeordneter Verhältnisse in Gemeinwesen waren.
Wagener stellt die These
auf, dass das intellektuelle Konstrukt der global governance keine
Konzepte zur Bewältigung von Fluchtproblemen, illegaler Migration
und der Kontrolle organisierter Kriminalität anbietet. Auch EU hat
keine Steuerungsfähigkeit in dieser Hinsicht erarbeiten können.
Eine spannende These des Buches lautet:
Die Bedeutung von militäry borders und economic borders nimmt ab,
die von police borders jedoch zu. Nicht der Standort der Grenzen
ändere sich, sondern dessen Charakter und Rolle.
Dass
die kosmopolitische, linksgrün durchsetzte bürokratische Elite in
Deutschland losheulen würde, war dem Professor der
Verwaltungswissenschaft sehr bewusst. Eine im wahrsten
Sinne grenzenlose Welt sei eine Vorstellung und Desiderat von Eliten,
ein billiger Anarchismus bevorzuge die Reichen und Schönen. Eliten
aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst hätten ein gesteigertes
Interesse an Grenzenlosigkeit – die Bevölkerung jedoch nicht, die
vor Ort die gesellschaftlichen Folgen einer sich globalisierenden
Welt ausbaden müssten.
Neue technologische
Möglichkeiten zur Grenzsicherung sind Drohnen, geographische
Erfassungssysteme, biometrische Datensysteme, virtuelle
Überwachungssysteme, die die Etablierung von Grenzen mit
verschiedenen Korridoren ermögliche. Dies tangiere den codierten
Handelsverkehr gar nicht, schrecke Schleuserbanden und Kriminelle
jedoch ab. Postmoderne Grenzanlagen könnten die gesellschaftlichen
Folgen der Globalisierung abfedern, argumentiert Wagener nicht
grundlos.
Exzellent stellt er die
Möglichkeiten und Grenzen des Baus einer Mauer zu Mexiko dar. Er
zeigt überzeugend, dass das Problem illegaler Migration in die USA
vor allem auf politischem Wege gelöst werden muss und nicht einfach
mit dem Einsatz einer harten Hardware aus dem Weg geräumt werden
kann. Denn bereits jetzt hilft die mexikanische Regierung dabei,
Illegale aus anderen süd- und lateinamerikanischen Staaten von der
US-Grenze fernzuhalten.
Die Grenzanlagen der Israelis stellen
ein komplexes System dar, das politisch umstritten, aber in
Kategorien des Selbsterhalts unvermeidlich ist, so Wagener. Insgesamt
stellt Wageners Werk ein mutiges, aber wohlfeil fundiertes
alternatives Politikprogramm dar, das konventionelle Narrative und
Mythen, die die gegenwärtige Staatsräson konstituieren, nachhaltig
erschüttert.
Es ist das erste Werk einer Trilogie
zur deutschen Außenpolitik, die Wagener zu schreiben beabsichtigt.
Wie aber soll das von
Wagener „postmoderne Grenzanlage“ genannte Bauwerk aussehen?
Inwieweit unterscheidet es sich von konventionellen Grenzanlagen? Die
größte Differenz liegt in der Multifunktionalität der neuen
Anlage, die „das Beste zweier Welten“ (S. 23) verbinden könne.
Während auf der einen Seite ein unkontrollierter Zustrom von
Migranten ebenso verhindert wird wie die freie Manövrierfähigkeit
von Terroristen oder Banden organisierter Kriminalität, so wird auf
der anderen Seite ein stabiler Durchfluss für internationalen
Handel, Pendler und Touristen ermöglicht. Dies wird über ein
dichtes Netz an Grenzübergängen gewährleistet, die über
verschiedene Schleusen verfügen. So ermöglicht die Schleuse 1
Pendlern, Geschäftsleuten aus der EU über ein effizientes
Permissionssystems die friktionslose Durchfahrt; Touristen aus
Staaten mit ähnlicher sozioökonomischer Ausstattung können über
ein Touristenvisum in Schleuse 2 einreisen; der innereuropäische
Warenverkehr wird über Schleuse 3 abgefertigt; der Einreisewunsch
von Personen aus anderen Weltbereichen wird in Schleuse 4 bearbeitet
und in einem weiteren Korridor werden deutsche Staatsbürger, die
nicht in einem der anderen Schleusen zugeordnet werden,
durchgewunken.
Der Verfasser misst die
Anforderungen in konkretester Weise aus – Kosten pro zu sichernder
Kilometer in Bezug auf Materialien, Technik eigentumsrechtliche
Verhältnisse; wahrscheinliche Zahl der Grenzübergänge und
Korridore samt realistischer Personalbesetzung selbiger.
Wichtig ist zu
anzumerken, dass Wageners Buch keinesfalls als neo-nationalistisches
Manifest zu verstehen ist, sondern als elaborierte Argumentation
zugunsten einer differenzierten Steuerung der Globalisierung mit
Hilfe von Grenzsystemen, die keinen Wert sui generis darstellen. Dass
das halbherzige bis vollständige Unterlassen von Grenzkontrollen in
Zonen differenter Wohlstandsniveaus zu destabilisierenden Effekten
führen muss, ist eine banale Einsicht, der sich höchstens
IdeologInnen transzendentaler Utopias verschreiben. Zahlreiche
politische Entscheidungsträger lassen die Dinge im Modus des
Moralismus des Augenblicks treiben, da die Effekte ihres
Nichthandelns erst nach ihren Wahlperioden voll zun Tragen kommen
werden.
Natürlich, und das
gestand Wagener dem Verfasser zu, fehlte eine Einbettung des eher
technokratisch anmutenden Werkes in eine breitere philosophische
Begründungsstruktur. Dies ist für Band drei der geplanten Trilogie
Wageners zur deutschen Außenpolitik geplant. Mehr zu dem Buch finden Sie hier!
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